Eisloeffel Ingo

Eiszeit. - Feature

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Komet Speiseeis

Eiszeit.
Die Speiseeisproduktion in der DDR
Feature von Annett Gröschner

MDR, 1996

Zitroneneisbecher Zitronen-Eisbecher

Eisbecher Mexikaner Mexikaner-Eisbecher

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Manuskript, Leseprobe

Erzählerin:
Sonntags in den siebziger Jahren.
Mutter hatte Szegediner Gulasch gekocht.
Oder Thüringer Klöße mit Schweinefleisch.
Oder Eisbein mit Sauerkraut.
Oder Steak mit Pommes Frites.
Was der KONSUM-Fleischer am Freitag so hergegeben hat.
Dann schlug die Stunde unseres Vaters. Er verließ den Tisch, ging in die Küche, wir mußten sitzenbleiben. Mutter verdrehte die Augen, meine Schwester sagte, ich will nur eine kleine Portion, aber gegessen werden mußte es immer. Unser Vater wäre sonst traurig gewesen und ein trauriger Vater war schlimmer als ein schlagender.

Nadja Gröschner:
Das Eisessen am Sonntagnachmittag war der Höhepunkt des gesamten Wochenendes. Mein Vater rollte mit dem Teewagen aus der Küche heran und nahm das Eis herunter, was er zu einzelnen Portionen aufgeteilt hatte, und jeder von uns mußte ein Stückchen davon nehmen und sagen: "Oh, ah, ist das lecker," Mein Vater war richtig froh, wenn er sah, daß wir uns alle freuten. Natürlich gab es Zeiten, wo das Eis besonders wäßrig und krisselig war, und trotzdem, um ihn nicht zu enttäuschen, machten wir gute Miene zum bösen Spiel und gaben Geräusche von uns, daß es uns schmeckt und daß es lecker ist.

Erzählerin:
Eigentlich war unser Vater Leiter der Abteilung Kältetechnologie im Forschungsinstitut für Kühl-und Gefrierwirtschaft in Magdeburg, aber das klang nicht besonders interessant. Eisforscher hörte sich besser an, ein bißchen wie Abenteuer in Grönland oder am Südpol.
Unser Vater legte großen Wert darauf, daß wir nur das Eis aßen, was von ihm als wissenschaftlich einwandfrei eingeschätzt worden war. Streicheis von der Eisbude gehörte nicht dazu und in den besseren Zeiten der DDR auch kein Eis mit Pflanzenfett. Da waren seiner Meinung nach Bakterien drin, da fehlte der Luftaufschlag, da würden wir nur krank von. Unser Vater war, bis auf das Eis nicht sehr autoritär. Wollten wir Vatermord begehen, dann aßen meine Schwester und ich das Eis, das unser Vater überhaupt nicht mochte.

Nadja Gröschner:
Bis zum 12. Lebensjahr habe ich nur das Eis aus der Produktion gegessen, für die mein Vater zuständig war. Dann aber ist meine Freundin in ein Neubaugebiet gezogen und mußte wie ich mit der Straßenbahn in die Innenstadt fahren. Und da sind wir dann beide jedesmal in den Laden namens KOKOSPALME gegangen, wo es Produkte aus Pflanzenfett gab und haben, für mich war das heimlich, für eine Mark Pinguin-Eis gekauft. Und der Wettbewerb war, dieses Eis bis zur Gaststätte Stadt Prag aufzuessen, das waren 200 Meter bis dahin. Und ich habe es immer geschafft, während meine Freundin immer noch 3/4 im Becher hatte. Ich habe liebsten Nougateis gegessen, das war teurer, das hat 1,20 gekostet. Weniger schön war, daß oben immer eine getrocknete Kokosölschicht drauf war, die man erst abkratzen mußte , bevor man das Eis essen konnte. Irgendwann habe ich meine Leidenschaft meinem Vater erzählt und der hat furchtbar böse reagiert. "Das sind unsere Feinde, das ist Eis mit Pflanzenfett, das ist was ganz ekliges". Das war bei ihm richtig verpönt. Und dann habe ich erst recht ein schlechtes Gewissen gehabt. Aber ich habe es jede Woche gemacht. Das sah widerlich aus und hat auch widerlich geschmeckt, aber für mich war es ein unheimlicher, fast erotischer Reiz, verbotenes Eis zu essen.
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Hörprobe 1
Qualitätsbewertung

Hörprobe 2
Truhencheck

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